„Eine historische Chance“

Textilfabrik in Turkmenistan
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"Zusätzlich zu dem auf Freiwilligkeit beruhendem Textilbündnis sind gesetzliche Regulierungen notwendig"

Das Textilbündnis soll eine faire Bekleidungsproduktion garantieren – hat aber nur mäßigen Erfolg, sagen Kritiker/innen. Gisela Burckhard erzählt, warum ihre Organisation FEMNET das Bündnis trotzdem unterstützt.

Mehr als die Hälfte der nach Deutschland importierten Kleidung stammt aus Asien und wird unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt. Überstunden und Arbeitslöhne, die weit unter dem Existenzminimum liegen, werden oftmals nicht an die Arbeiterinnen und Arbeiter gezahlt. Verantwortlich dafür sind vor allem die großen Konzerne, die nicht auf angemessene Sicherheitsvorkehrungen, Entlohnung und den nötigen Arbeitsschutz achten.

Im folgenden Auszug aus einem Gespräch mit Hildegard Scheu vom November 2015 bewertet Gisela Burckhardt die politischen Maßnahmen in Deutschland und berichtet, dass neuerdings viele Unternehmen beim Bündnis für nachhaltige Textilien mitmachen. Neben dieser freiwilligen Selbstverpflichtung bleibt die Forderung nach gesetzlichen Regelungen bestehen, um Unternehmen bei der Missachtung von Arbeits- und Menschenrechten zur Verantwortung ziehen zu können.

Damit sich Konzerne als sozial verantwortliche Unternehmen präsentieren können, werden viele der Textilfabriken freiwillig seit Jahren durch Audits geprüft. Diese Kontrollen haben allerdings nach Einschätzung von Gisela Burckhardt nicht zu besseren Arbeitsbedingungen geführt.

Hildegard Scheu: Sind die Unternehmen zu größerer Transparenz bereit?

Gisela Burckhardt: Mit Ausnahme einiger weniger (adidas, H&M) sind Unternehmen nicht bereit, die Namen ihrer Produzenten oder Lieferanten in den Produktionsländern zu nennen. Eigentlich noch wichtiger finde ich die Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse, der sogenannten „Audits“. Sie sind und bleiben ein Geheimnis zwischen dem einkaufenden Unternehmen und dem Produzenten; die betroffenen Arbeiter/innen, Gewerkschaften und NRO vor Ort erfahren sie nicht. Ich finde das einen Skandal, von Transparenz kann also keine Rede sein. Dass es auch anders geht, zeigt das Gebäude- und Brandschutzabkommen in Bangladesch: Es veröffentlicht die Ergebnisse seiner Prüfungen auf der Webseite, jede/r kann sie einsehen. Das ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz.

HS: Das von Minister Müller angekündigte Bündnis für nachhaltige Textilien wurde nach einem halbjährlichen intensiven Diskussionsprozess, an dem über 70 Vertreter/innen von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Regierung beteiligt waren, am 16. Oktober 2014 von nur 28 Mitgliedern gegründet. Vor allem waren zivilgesellschaftliche Organisationen und kleinere Textilfirmen dabei, die in Produktion und Einkauf auf hohe Sozial- und Umweltstandards achten, wie hessnatur oder VAUDE Sport. Doch mehr als die Hälfte der Firmen und die großen Branchenverbände, die sich an den Gesprächen beteiligt hatten, stiegen kurz vor der Unterzeichnung der Gründungsurkunde aus, weil die Anforderungen zu hoch und die in Deutschland üblichen Sozialstandards international nicht durchsetzbar seien. Startete das Textilbündnis als „Luftnummer“, wie die Tagessschau von 16. Oktober 2014 berichtete?

GB: Im Dezember 2014 bestimmten die Mitglieder des Textilbündnisses einen Interims-Steuerungskreis, der sich aus neun Mitgliedern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften, Regierung und der Zertifizierungsorganisation GOTS (Global Organic Textile Standard gGmbH) und dem Internationalen Verband für Naturtextilien (IVN) zusammensetzte. Rund ein halbes Jahr benötigte die Wirtschaft, um sich mit dem Aktionsplan intensiv zu beschäftigen und dem Interims-Steuerungskreis Änderungsvorschläge vorzulegen, wonach sie dann bereit wären, beizutreten. Dabei spielten die Verbände wie HDE und textil + mode eine zentrale Rolle. Allein schafften sie es offenbar nicht, sich zusammenzuraufen, denn sie heuerten eine Consultingagentur als Unterstützerin an. Schließlich hatten sich viele Unternehmen und insbesondere die Verbände bisher mit dem Thema Sozial- und Umweltstandards in ihrer Lieferkette nicht oder kaum auseinandergesetzt. Der allgemeine Druck zwang sie nun, sich damit zu beschäftigen, was als ein erster kleiner Erfolg gewertet werden kann. Nach einer intensiven Diskussion einigte man sich auf einen überarbeiteten Aktionsplan, wobei die Annexe aus dem ersten Aktionsplan die Grundlage für die weitere Arbeit darstellen.

HS: Nach einer Pressemitteilung der Kampagne für Saubere Kleidung ist der Aktionsplan nun stärker prozessorientiert und setzt auf Zielverfolgung zur Erreichung der Bündnisstandards und -ziele und verlangt den Unternehmen nicht mehr ab, bis zu einem bestimmten Datum vorgelegte Ziele zu erreichen.

GB: Die Wirtschaft fürchtete, in Haftung genommen werden zu können, wenn sie zu einem im Aktionsplan festgelegten Zeitpunkt nicht Ergebnisse vorweisen kann. Da sind wir den Unternehmen entgegen gekommen, sie müssen aber jetzt einen eigenen Fahrplan mit Zeitzielen vorlegen. Sie haben also ein bisschen mehr Flexibilität, aber Fortschritte müssen sie nachweisen, an denen sie dann gemessen werden. Details müssen allerdings noch ausgearbeitet werden und hier liegt auch noch viel Sprengstoff für zukünftigen Streit. Eine unabhängige Stelle unter Aufsicht des Steuerungskreises soll die Fortschritte der einzelnen Bündnismitglieder prüfen und der Öffentlichkeit gegenüber transparent machen.

HS: Kritiker/innen, darunter auch Greenpeace, sehen darin jedoch eine Verwässerung, sie beklagen, die Standards wurden gesenkt. (...) Warum macht ihr trotzdem mit?

GB: Die Standards wurden nicht gesenkt. Der Annex 1, in dem die Standards stehen, ist auch für den jetzigen Aktionsplan die Grundlage. Die Beteiligung am Textilbündnis sehe ich als eine historische Chance, die man ergreifen muss, weil sie sich so nie wieder bieten wird, weil wir noch nie ein solches Engagement des BMZ für das Thema hatten. Es bleibt allerdings abzuwarten, welche konkreten Umsetzungsschritte getan werden und welche Fortschritte in den Produktionsländern erzielt werden können. Schafft das Textilbündnis
keine Fortschritte, werden die zivilgesellschaftlichen Organisationen der Kampagne für Saubere Kleidung das Bündnis verlassen. In den nächsten Monaten werden Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen gebildet werden, in denen alle Stakeholder beteiligt sind. Sie sollen Vorlagen erarbeiten, die dann im Steuerungskreis im Konsens beschlossen werden müssen. Kann kein Konsens erreicht werden, gibt es Stillstand.

HS: Nach den drei großen Spitzenverbänden von Handel und Textilbranche sind Anfang Juni 2015 auch 28 Unternehmen dem Textilbündnis beigetreten, darunter C&A, H&M, Kik, Otto, adidas, Aldi Nord und Süd, REWE und Lidl.

GB: Die Zahl der Mitglieder stieg inzwischen auf 157 (Stand: 11. Oktober 2015). Dies entspricht einem Anteil von rund 45 Prozent Marktumsatz der Bekleidungsindustrie in Deutschland. Angestrebt ist eine Beteiligung von bis zu 75 Prozent des Marktvolumens der Textilwirtschaft in Deutschland bis 2018.

HS: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sagte: „Deutschland ist damit Vorreiter für die internationalen Bemühungen auf dem Weg zu fairen Standards in den globalen Lieferketten. Mit Textil machen wir hier in Deutschland einen Anfang. Gemeinsam mit allen Beteiligten wird es gelingen, zu fairen, sozialen und ökologischen Standards in der Textilproduktion zu kommen – vom Baumwollfeld bis zum Bügel.“ Das bezweifeln vor allem Vertreter/innen der Grünen und der Linken. Sie fordern ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland, „das Unternehmen dafür haftbar macht, wenn sie im Ausland unter sklavenartigen Bedingungen
produzieren lassen“ (Caren Lay). Wie siehst Du das als Vorsitzende von FEMNET?

GB: Ich unterstütze das sehr. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie FEMNET , die die Kampagne für Saubere Kleidung aktiv unterstützen, weisen auch immer wieder darauf hin, dass zusätzlich zu dem auf Freiwilligkeit beruhendem Textilbündnis gesetzliche Regulierungen notwendig sind. Das eine schließt das andere nicht aus. Das Textilbündnis behandelt ja noch zahlreiche andere Aspekte wie z.B. den Einsatz für einen existenzsichernden Lohn oder die Herstellung von Transparenz. Aber natürlich darf es nicht sein, dass Unternehmen bei Unglücken wie dem Einsturz von Rana Plaza oder dem Brand in der Tazreen-Kleiderfabrik (am 24. November 2012, ebenfalls in Dhaka, Bangladesch) nicht in Haftung genommen werden können, wenn sie unzureichende Vorsorge betrieben haben.

HS: Der Entschädigungsfonds für die Verletzten und Hinterbliebenen von Rana Plaza, von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO verwaltet, beruhte auf Freiwilligkeit. Wenige Firmen haben tatsächlich darin eingezahlt, und erst nach zwei Jahren intensiver Kampagnenarbeit wurde die benötigte Gesamtsumme von 30 Mio. US-Dollar erreicht. Auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die in all den Jahren von NRO mit den Textilunternehmen in den Ländern des Globalen Südens bereits gemacht wurden, ist sehr fraglich, ob Freiwilligkeit ausreicht, um die weitgehenden Änderungen zu erreichen, die dem Minister vorschweben.

GB: Die Forderung nach gesetzlichen Regeln halten wir aufrecht, sie widerspricht u.E. nicht der Beteiligung am Textilbündnis, sondern wir sehen sie als Ergänzung. Wünschenswert wären eine gesetzliche Festschreibung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen sowie die Einführung einer Unternehmenshaftung bei Verletzung dieser Pflichten, am besten auf EU-Ebene. Laut den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte des UN-Menschenrechtsrats müssen Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht hinsichtlich ihrer Lieferkette vorbeugend nachkommen. Bisher versteckten sich die meisten Unternehmen hinter der für sie bequemen Auffassung, die Verantwortung liege bei der Regierung des jeweiligen Produktionslandes. Entsprechend der vom UN-Menschenrechtsrat postulierten Sorgfaltspflicht müssen sie jedoch selbst aktiv werden und dafür sorgen, dass ihre Lieferanten die Gesetze des Landes einhalten. Schon die Befolgung der bestehenden Arbeitsgesetze von Bangladesch wäre ein wichtiger Schritt vorwärts. Leider setzt der Staat Bangladesch aufgrund schwacher rechtsstaatlicher Strukturen, unterbesetzter und unterfinanzierter Gerichte, Korruption und Vetternwirtschaft geltendes Recht nicht um.

(...)

HS: Was muss in Zukunft passieren?

GB: Auch wenn der öffentliche Druck mehr als zwei Jahre nach dem tragischen
Unglück von Rana Plaza weiter anhält und die Debatte um den Schutz der Arbeiter/innen in der globalen Bekleidungsindustrie für erste wichtige Schritte gesorgt hat, so bedarf es weiterer Stellschrauben, damit die Arbeitsbedingungen in der globalen Bekleidungsindustrie langfristig fair und ökologisch gestaltet werden können. Ich habe dazu in meinem Buch
„Todschick“ (Burckhardt 2014) über die Bekleidungsindustrie in Bangladesch die folgenden fünf Punkte aufgeführt:

  1. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen und Rechtsvorschriften erlassen, damit Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Die unternehmerische Verantwortung für die gesamte Lieferkette muss gesetzlich verankert werden. Eine solche Rechtsvorschrift müsste auch die Haftung der Bekleidungsunternehmen für ihre gesamte Lieferkette einschließen. Dadurch würde geregelt, welche Entschädigungszahlungen ein Unternehmen z.B. im Fall des Einsturzes des Rana Plaza an die Opfer zu zahlen hätte und es würde nicht dem Unternehmen überlassen, ob und wie viel es zahlen will (was derzeit der Fall ist).
  2. Eine verpflichtende Nachverfolgbarkeit von Textilien sollte eingeführt und Transparenz sollte durch Veröffentlichung von EU-Importpapieren und Zollerklärungen hergestellt werden, z. B. durch Einführung eines elektronischen Labelsystems oder einer Verbindung zwischen einer Labelnummer und einer Online-Datenbasis.
  3. Einkaufende Unternehmen müssen Transparenz herstellen, unter welchen Bedingungen ihre Ware hergestellt wird. Damit würde die Beweislast umgekehrt: Denn dann müssten die Unternehmen nachweisen, dass ihre Ware ökologisch und fair hergestellt wurde.
  4. Die Rechte der Arbeiter/innen in den Produktionsländern müssen gestärkt werden – dazu gehört zwingend die Organisationsfreiheit, also das Recht auf Betriebsräte und Gewerkschaften, um für die eigenen Interessen eintreten zu können. Einkaufende Unternehmen sollten sich dafür einsetzen, dass die Organisationsfreiheit bei ihren Lieferanten wirklich umgesetzt wird und nicht nur bloß auf dem Papier steht.
  5. Verbraucher/innen müssen ihr Konsumverhalten reflektieren. Inzwischen gibt es T-Shirts, die weniger kosten als eine Tasse Kaffee oder eine Busfahrt, billige Kleidung ist Normalität. Anstatt Wegwerfmode zu kaufen, sollten wir weniger und bewusster kaufen. Es gibt einige wenige Siegel wie Fairtrade für Baumwolle oder GOTS für Umweltstandards, auf die man achten sollte. Unternehmen, die der Fair Wear Foundation beigetreten sind, wollen die Arbeitsbedingungen in der Konfektion verbessern. Nicht nur die Unternehmen, die Politik und die Verbände stehen in der Pflicht, würdevolle Produktionsbedingungen zu schaffen. Auch die Konsument/innen können verantwortungsvoll handeln.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags Westfälisches Dampfboot, das vollständige Gespräch erschien in PERIPHERIE Nr. 140, 35. Jg. 2015, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster. Bezug über http://www.zeitschrift-peripherie.de/.

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